Bericht über die Lager in Nordfrankreich.

7.11.2020 Der Seebrücke Aktivist Jonathan berichtet auf der #WirHabenPlatz Kundgebung der Seebrücke über die Verhältnisse in Nordfrankreich – in der Gegend von Calais und Dünkirchen. Er hat dort selbst erlebt wie es den Menschen, die von dort die Fahrt über den Kanal nach Großbritannien versuchen wollen, ergeht. Mitten in Europa. Wussten Sie, dass rund die Hälfte der dort gestrandeten bereits in Deutschland waren, teilweise hier geboren sind? Hier ist der Bericht…..

#WirHabenPlatz – Eine Rede vor leeren Stühlen

Seebrücke stellt 100 leere Stühle vor das Rathaus

Samstag, 7. November: Mit dem symbolischen Aufstellen von 100 Stühlen vor dem Rathaus und einer „Rede an die Abwesenden“ protestierte der lokale Ableger der Seebrücke-Bewegung gegen das andauernde Sterben im Mittelmeer, das Elend in den Lagern und die Entrechtung von Menschen auf der Flucht. Die Stühle blieben leer. Sie waren reserviert für diejenigen, die die europäischen Regierungen und ihre Verbündeten ertrinken lassen und in unwürdigen Camps gefangen halten. Dabei wäre hier mehr als genug Platz. Mit der Aktion forderte die Seebrücke Osnabrück die Aufnahme und den Schutz dieser Menschen, die Abschaffung des völlig unsolidarischen Dublin-Systems und die längst überfällige Schaffung sicherer Fluchtwege. Diesen Forderungen verlieh die Schauspielerin Christina Dom mit ihrer „Rede an die Nicht-Anwesenden“ Ausdruck.
Dazu gab der Seebrücke Aktivist Jonathan einen Einblick in die Verhältnisse in Nordfrankreich. Er hat dort selbst erlebt wie es den Menschen, die von dort die Fahrt über den Kanal nach Großbritannien versuchen wollen, ergeht. Mitten in Europa. Hier ist der Bericht…..


Rede an die Nicht-Anwesenden

Ich begrüße Sie – in der Friedensstadt Osnabrück!

Diese 100 Stühle sind für Sie reserviert – Sie, die Sie nicht rein gelassen werden in die Festung Europa.

Aber trotzdem  werde ich diese Rede halten – an Sie, die Nicht-Anwesenden, die schmerzlich Vermissten. Und obwohl Sie meine Worte wahrscheinlich nie hören werden.

Wenn ich in den Nachrichten von Ihnen höre, von der Brandkatastrophe auf Lesbos, von dem Einsatz von Tränengas und Gummigeschossen gegen Sie und Ihre Kinder an der Grenze zwischen der Türkei und Griechenland ,von Ihrem Überlebenskampf auf den Straßen von Athen ,dann frage ich mich: woher nehmen Sie die Kraft, um das alles auszuhalten?

Und ich stelle mir vor, wie ich damit zurecht käme…

Jeden Tag Sorge haben, dass ich nicht genug Trinkwasser für mich und meine Kinder auftreiben kann.    Angst, dass ich nachts auf dem Weg zur Toilette überfallen werde.    

Angst vor der Kälte nachts. Angst vor dem Winter… Angst krank zu werden. Ekel vor dem Müll und dem Ungeziefer, Angst vor den Leuten, die ausrasten…

Nachdem Moria abgebrannt war, wurden Sie gezwungen, in das schnell aufgebaute Zeltlager Moria 2 zu gehen. In den ersten Tagen hatte Sie keine Toiletten, obwohl schon mehrere 1000 Menschen dort zusammengepfercht waren!

Sie hatte nur Meereswasser, um  sich zu waschen.

Die Soldaten waren noch dabei das Gelände nach Blindgängern abzusuchen, während Ihre Kinder zwischen den Zelten herum rannten…

Ihre 10 jährige Tochter ist noch keinen einzigen Tag ihres Lebens in einer Schule gewesen…

Warum tut man Ihnen das an?

Es ist doch schon schlimm genug, dass Sie in Ihrem Heimatland um Ihr Leben fürchten mussten.

Warum  werden Sie bekämpft  auf Ihrer Flucht? Was hat Seehofer für ein Problem?

Wenn er schon nicht in der Lage ist sich vorzustellen, dass Menschen sich für Menschen in Not einsetzen möchten – auch über Ländergrenzen hinweg – dann könnte er doch zumindest – ganz eigennützig – daran denken, dass „ eine Hand die andere wäscht“. 

Was ich damit meine? Nun, es ist doch so offensichtlich, dass Deutschland dringend auf den Zuzug von jungen Menschen angewiesen ist. Herr Spahn sucht händeringend junge Leute, die im Pflegebereich arbeiten wollen. Die Handwerkskammer startet eine Werbekampagne nach der anderen, um Ausbildungsplätze besetzen zu können. Der Fachkräftemangel bremst schon so manche Firma in ihrer Entwicklung aus.

Wer soll 2050 unsere Renten bezahlen, wenn – ohne Migration – die Zahl der Erwerbstätigen um 15 Millionen geschrumpft ist und die Zahl der Rentenempfänger  sich um 15 Millionen vergrößert hat? Wir bräuchten einen Wanderungsaldo von 400.000 Menschen pro Jahr, um dies zu verhindern. Die Zuwanderung aus europäischen Ländern wird in den nächsten 30 Jahren rapide abnehmen und nur noch eine kleine Rolle spielen. Wir sind angewiesen auf Menschen von außerhalb der EU!

Warum ich Ihnen das erzähle? Ich will Ihnen ganz deutlich sagen: wir haben Platz! Wir wollen, dass Sie und Ihre Kinder hier in Sicherheit leben können – das ist einfach nur selbstverständlich.

Und es geht dabei nicht um Almosen oder unverbesserliches Helfersyndrom.

Wir wünschen uns, dass viele von Ihnen wirklich eine neue Heimat bei uns finden und langfristig hier leben wollen.

Wir hoffen, dass Sie beruflich hier Fuß fassen  – trotz all der Steine, die Ihnen Seehofer und diverse Menschen in der Ausländerbehörde in den Weg legen.

Wir wollen Sie ganz praktisch unterstützen beim Sprache lernen.

Wir freuen uns darüber, dass unsere Gesellschaft bereits bunter und vielfältiger geworden ist durch Menschen aus Ihrer Heimat – und wir wünschen uns inständig, dass auch Sie den Weg hierher bald schaffen!

Ich wünsche mir, dass alle,  die mir jetzt zuhören, sich einen Flyer mitnehmen.

Ich wünsche mir, dass sie die kleine Broschüre von ProAsyl, die da hinten auf dem Tischchen liegt, lesen – und dass alle sich Gedanken machen, wie sie Ihnen, liebe Nicht-Anwesende, auf Ihrer Flucht hier her helfen können.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

#WirHabenPlatz

Save the Date: Demonstration: Moria OS #WirHabenPlatz!

Liebe Freund*innen,

die Situation auf den griechischen Inseln scheint sich nach dem Feuer im
Camp Moria noch weiter zu verschlechtern. Die Geflüchteten werden in ein
neues Camp Moria 2 gesperrt, welches noch weniger Sanitäranlagen, noch
weniger Platz, noch weniger Freiheiten noch mehr Leid hervorbringt, als
es vorher schon gab. Und die Lage auf den anderen griechischen Inseln
ist nicht minder schlimm; auch dort hat es im Camp gebrannt.
Während in ganz Europa hunderte einzelne Kommunen bereit sind dem
unsäglichen Dublin-Asylsystem eine Absage zu erteilen, auf eigene Faust
Geflüchtete bei sich aufzumehmen und Solidarität zu zeigen, fällt der
europäischen Union ihren eigenen „Werten“ in den Rücken und bildet
faktisch eine rassistische Abschiebeunion. Horst Seehofer verbietet
einzelnen Ländern und Kommunen gar die selbstständige Aufnahme von
Geflüchteten.

Auch Osnabrück ist ein sogenannter „Sicherer Hafen“ und bereit weitere
Geflüchtete aufzunehmen. Wir wollen das mit euch gemeinsam auf die
Straße bringen und bekräftigen: #WirHabenPlatz! Holt endlich die
Menschen aus den Elendslagern auf den griechischen Inseln, in Calais und
sonstwo! Sorgt dafür, dass so etwas gar nicht erst möglich gemacht wird!
#EvictTheCamps #NoLager

Am 17.10. planen wir daher eine große Demonstration in Osnabrück. Wir
wollen unsere Solidarität gegenüber allen Geflüchteten zum Ausdruck
bringen und unsere Wut der europäischen Politik entgegenschleudern.

Da wir so viele Menschen wie möglich auf die Straße bringen wollen,
wollen wir mit euch gemeinsam mobilisieren und kooperieren. Falls ihr
euch das vorstellen könnt, werden wir euch weitere Infos und Materialien
zukommen lassen, sodass wir gemeinsam schauen können, wie wir diese Demo gestalten können.

Wenn ihr noch fragen habt, schreibt uns gerne. Wir freuen uns über euer
Feedback.

Solidarische Grüße,

NoLager Osnabrück nolager-os@riseup.net